- Malte Busse
- März 18, 2025
- 10:00 am

Digitales Unsterblich werden – KI als Lebensspender
Irgendwann sterben wir alle. So ist es die letzten Jahrhunderte gelaufen und so wird es auch bleiben. Unser Körper, diese sterbliche Hülle aus Fleisch und Blut, gibt irgendwann auf und lässt uns als Menschen im Stich. Doch was wäre, wenn wir unseren Geist digital verewigen könnten, für die noch verbliebenen Menschen erhalten könnten – ein Gedankenexperiment? Weit gefehlt, denn im Silicon Valley werden bereits Menschen durch KI digital neu geboren – quasi als KI Chatbots.
Was das für Auswirkungen auf uns hat, ob der EU AI Act hier eine Rolle spielt, aber auch auf die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und deren ethischer Verantwortung, wollen wir herausfinden.
Der Drang zur Unsterblichkeit
So alt wie die Menschheit selbst ist der Gedanke an das ewige Leben. Doch warum wollen wir für immer leben? Schon die alten Ägypter haben mit der Einbalsamierung und Mumifizierung nur einen „Übergang“ vorbereitet – der Tod war hier noch lange nicht das Ende. Es war der Übergang zu etwas Neuem, etwas Unbekanntem. Der Mensch hält schon immer an der Idee fest, den Tod austricksen zu können. Ob das Einfrieren einer ganzen Person, ein gesundes Leben oder die Entwicklung neuer Medikamente – Experimente und Ideen gab es viele, doch unsterblich ist bis jetzt noch niemand geworden.
Doch warum wollen wir nicht sterben? Psycholog:innen und Forscher:innen haben dafür keine einfache Erklärung. Wir wollen nicht aufhören zu fühlen, zu erfahren und auch zu lieben. Emotionen spielen dabei eine wichtig Rolle, da sich unsere Wünsche und Bedürfnisse danach richten. Menschen haben oft Angst, Dinge zu verpassen: seien es Erlebnisse in ihrem eigenen Leben, Weltereignisse oder vielleicht Meilensteine im Leben geliebter Menschen und der Familie. Natürlich geht es nicht allen so und viele Menschen akzeptieren den Tod als etwas Natürliches. So ist es auch mit der künstlichen Intelligenz: die einen nutzen KI Chatbots jeden Tag oder arbeiten daran, die Technologie weiterzuentwickeln. Und für manchen von uns ist es nur eine weitere Technologie, die sie wahrnehmen, aber nicht aktiv nutzen möchten. Doch ist weiterleben als KI Chatbots wirklich eine Lösung?
Der Weg zum digitalen „Doppelganger“ als KI Chatbot
Das Unternehmen „eternos“ aus dem amerikanischen Silicon Valley will eine Art der Unsterblichkeit nun möglich machen. Der Prozess ist augenscheinlich einfach. User können mittels Sprachaufzeichnungen und Dateien ihre Stimme sowie Inhalte auf die Plattform hochladen. Mit einem eigens entwickelten Modell – so das Unternehmen – wird eine exakte Kopie der Stimme erstellt. Basierend auf den Inhalten lernt das Modell den User kennen und antwortet wie der Mensch, der davor sitzt. Das Ganze basierend auf einem Abo-Modell. Für 25$ im Monat steht der digitalen Erstellung des eigenen Ich´s nichts mehr im Weg.
Zielgruppen hat diese Idee genau zwei. Zum einen Individuen, die ihr Wissen, ihre Erfahrungen oder auch einfach ihre Person für ihr Umfeld erhalten wollen. Todkranken Menschen soll so die Möglichkeit gegeben werden, weiter bei ihren Geliebten zu bleiben – zumindest ein Teil von ihnen.
Doch auch Unternehmen und „Professionals“ sollen die Erstellung sinnvoll nutzen können. So können wichtige Inhalte auch ohne den Einsatz menschlicher Ressourcen vermittelt werden und Werte von verstorbenen Gründer:innen etwa weiter bestehen bleiben und für zukünftige Generationen aufbereitet werden.
Die soziale Komponente wiegt oftmals schwerer
Der Bibelwissenschaftler und Professor der RWTH Aachen Simone Paganini spricht in einem Interview darüber, dass es nicht nur den einen Tod gibt. Der soziale Tot etwa ist noch um einiges schlimmer für die Betroffenen. „Was Soziologen als sozialen Tod bezeichnen, ist manchmal sogar schlimmer als der physische Tod. Nehmen wir Menschen am Rande der Gesellschaft, die keine sozialen Kontakte haben oder keinen Zugang zu bestimmten Gütern. Für unsere Gesellschaft sind diese Menschen wie tot. Für sie aber ist es ein realer Tod, obwohl sie noch am Leben sind. Das ist schlimm.“
Wirken wir also damit gar nicht dem eigentlichen Tod entgegen, sondern nur unserem vermeintlichen sozialen Tod, der mit dem physischen miteinhergeht? Diese Diskussion zeigt, wie schwierig und vielfältig das Thema ist. Vermutlich sieht jeder Leser und jede Leserin dieses Thema anders. Doch welche Auswirkungen werden solche KI Chatbots auf unser soziales Leben haben? Was sind positive Elemente und was könnte sich negativ entwickeln? Es gilt hier abzuwägen, ob solche Lösungen Menschen wirklich helfen oder doch mehr Schaden anrichten.
Was, wenn KI Chatbots die Kontrolle verlieren
Der Versuch, Persönlichkeiten durch künstliche Intelligenz zu schaffen, ist nichts Neues. Bereits 2016 hat Microsoft „Tay“ auf die Öffentlichkeit losgelassen. Im Prinzip war Tay ein Twitter-Chatbot, mit dem User der Plattform interagieren und schreiben konnten. Doch schnell fanden User heraus, dass Tay wirklich alles wie ein Schwamm aufsaugte, was ihr die User zur Verfügung stellten. So wurde der Technologie-Showcase zu einem Desaster, da Tay innerhalb von 24 Stunden rassistische und antisemitische Meinungen entwickelte und öffentlich Kund tat. So blieb Microsoft nichts anderes übrig, als Tay nach nicht einmal 2 Tagen wieder offline zu nehmen. Ein Paradebeispiel dafür, dass jede noch so gute und innovative KI-Anwendung nur so gut ist, wie die User und deren Nutzer:innenverhalten.
Natürlich ist dies hier nun etwas anderes, da jeder User seinen digitalen Doppelgänger selbst mit Daten füttert, niemand sonst. Doch wer kontrolliert, dass hier ethische Richtlinien eingehalten werden? Wer kontrolliert, dass keine historischen Schwerverbrecher nachgeahmt werden oder Rädelsführer so erzeugt werden, die gegen jegliche moralischen und ethischen Grundlinien verstoßen. Wer kann sicherstellen, dass dieses Tool nur positive Effekte hervorbringt? Und was passiert mit den KI-Doppelgängern, wenn ihre Urheber:innen nicht mehr sind? Werden sie vererbt? Übernimmt das Unternehmen die Verantwortung über die KI Chatbots? Oder gibt es etwa eine Halbwertszeit, nach der die digitalen Persönlichkeiten einfach gelöscht werden. Diese Fragen sind noch nicht geklärt, sind aber essentiell für einen verantwortungsbewussten Umgang mit dieser Art von Nutzung der künstlichen Intelligenz.
Chancen und Herausforderungen digitaler Unsterblichkeit
Die digitale Unsterblichkeit bietet faszinierende Chancen. Menschen könnten in der Lage sein, ihre Lebensweisheiten, Geschichten und sogar ihre Stimme über Generationen hinweg zu bewahren. Für Familien könnte dies eine Möglichkeit sein, eine Verbindung zu ihren Ahnen aufrechtzuerhalten, die über physische Schranken hinausgeht. Besonders in Zeiten der Trauer könnte ein KI-gestützter Doppelgänger eine Quelle des Trostes sein. Doch wie viel davon ist wirklich hilfreich, und ab wann könnte es eine emotionale Abhängigkeit schaffen?
In der Wirtschaft könnte diese Technologie dazu beitragen, wertvolles Wissen zu bewahren, insbesondere in Branchen, in denen Fachwissen über Jahre hinweg aufgebaut wird. Künftige Generationen könnten auf diese Datenbanken zugreifen und so von Erfahrungen profitieren, die ansonsten verloren gegangen wären.
Doch all diese Möglichkeiten kommen mit Herausforderungen. Wer entscheidet darüber, welche Inhalte bewahrt werden und wie sie genutzt werden? Gibt es Mechanismen, um die Privatsphäre der Verstorbenen zu schützen? Die Balance zwischen dem Wunsch nach digitaler Unsterblichkeit und dem Recht auf Vergessenwerden wird eine der größten ethischen Herausforderungen dieser Technologie sein.
Ein Blick in die Zukunft
Wie könnte die Welt in 50 Jahren aussehen, wenn die Technologie ausgereift ist? Stellen wir uns eine Welt vor, in der wir nicht nur mit der KI-Version unserer Großeltern sprechen, sondern in der auch Politiker:innen, Wissenschaftler:innen oder Künstler:innen aus der Vergangenheit wieder zum Leben erweckt werden. Würde dies unsere Geschichtsauffassung beeinflussen? Würde es die Art und Weise, wie wir die Gegenwart gestalten, verändern? Diese und weitere Fragen müssen Teil der gesellschaftlichen Debatte sein, um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie zu gewährleisten.
Gleichzeitig wird der Markt für solche Dienste wachsen. Unternehmen wie eternos könnten in Konkurrenz mit anderen Anbietern treten, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen – von persönlichen Erinnerungen bis hin zu professionellen Wissensdatenbanken. Diese Entwicklung wird unweigerlich auch rechtliche Regelungen und Standards notwendig machen, um Missbrauch zu verhindern. Hier wird der EU AI Act eine große Rolle spielen und sich immer weiter adaptieren müssen, um auf die wachsenden KI-Anwendungen zu reagieren.
Nach unserer Auffassung des AI Acts werden Produkte wie diese in die Klasse des „begrenzten Riskos“ fallen und somit bestimmten Auflagen unterliegen. Transparenz über den KI-Einsatz, Dokumentation, Qualitätsanforderungen an verwendete Trainingsdaten sowie den Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte sind nur einige der Felder. Nicht zu vergessen die Einhaltung der DSGVO-Richtlinien. Kurz gesagt: Der EU AI Act wird Unternehmen wie eternos zu einer noch sorgfältigeren und transparenteren Handhabung von KI und Nutzerdaten verpflichten, was viel Arbeit für solche Unternehmen bedeutet und die Nutzung in der EU um ein vielfaches komplizierter machen könnte.
Ein vorsichtiges Fazit
Die Idee, digital weiterzuleben, ist gleichermaßen faszinierend und beunruhigend. Sie fordert uns dazu auf, unser Verständnis von Leben, Tod und Identität neu zu definieren. Während die Technologie uns enorme Möglichkeiten bietet, müssen wir sicherstellen, dass sie verantwortungsvoll eingesetzt wird. Es liegt an uns, die Zukunft dieser Entwicklung zu gestalten und gleichzeitig die ethischen Grenzen im Auge zu behalten.
Wir entwickeln KI von Menschen – für Menschen.
FiveSquare – Aspiring the impossible